Mobiltelefone aus Schulen verbannen

Was sagt die Wissenschaft?

Angesicht einer Interviewanfrage und der andauernden Diskussion zum Smartphone-Verbot an Schulen habe ich mich gefragt, auf welcher wissenschaftlichen Basis diese Diskussion eigentlich stattfindet. Ich verfolge die oft polemische Diskussion schon einige Zeit auf LinkedIn und dort wird wahlweise Stimmung gemacht gegen Tech-Konzerne, Medienpädagogen oder auch die Politik. Vorab frage ich mich zunächst, was man denn überhaupt regulieren möchte und ich will dabei die folgenden Kontexte unterscheiden:

  1. Verbot einer Smartphonenutzung durch Schüler:innen im Unterricht (nicht für Unterrichtszwecke): Dieser Fall ist aus meiner Sicht absolut deutlich und es erklärt sich, dass die private Smartphonenutzung im Unterricht verboten werden sollte. Hier spielen vor allem Ablenkungseffekte und die Störung der Konzentration eine wichtige Rolle. Diese Regulierung wird oft auf Schulebene oder durch Lehrer:innen durchgeführt.
  2. Verbot einer Smartphonenutzung für Unterrichtszwecke: Die privaten Endgeräte können natürlich auch für Unterrichtszwecke zum Einsatz kommen. Dies kann der Fall sein, wenn z.B. zu wenige Endgeräte für Schüler:innen verfügbar sind oder aber wenn z.B. Social Media Kanäle der Schüler:innen als Unterrichtsinhalte thematisiert werden. Eine Regulierung wäre in diesem Fall aus einer pädagogisch-didaktischen Perspektive nicht sinnvoll und würde vor allem Lehrer:innen in ihrem Medieneinsatz im Unterricht einschränken.
  3. Verbot einer Smartphonenutzung außerhalb von Unterrichtszeiten (z.B. in Pausen): Hier gibt es unterschiedliche Ansätze an Schulen. Zum Teil wird hier unterschieden zwischen Altersstufen, zum Teil gibt es ein Smartphoneverbot, welches generell in der Schulzeit gilt. Diese Freiheit sollten Schulen haben, je nach Schulprofil oder Entscheidungen der Schulversammlung hier eigenständige Entscheidungen zu treffen.

Wenn ich es richtig verstehe, will man ein generelles Verbot von Smartphones, die von Schüler:innen genutzt werden, diskutieren und dabei auch die Fälle 2 und 3 aus der Autonomie von Schulen entfernen. Solche ein tiefgreifender Eingriff in die Autonomie der Schulen wird ja sicherlich auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse zustande kommen. In meiner Recherche bin ich dabei schnell auf ein Interview von Anfang Januar gestoßen, in dem Klaus Zierer im Magazin “Campus Schulmanagement” interviewt wird zu einer aktuellen Studie, die er zusammen mit Tobias Böttger publiziert hat. Dabei wird erwähnt, dass es positive Auswirkungen auf die Lernleistung und das soziale Wohlbefinden gebe, wobei direkt im nächsten Abschnitt nur von geringen Effekten auf die Lernleistung geredet wird. Daher habe ich mir diese Studie einmal genauer angesehen.

Böttger, T., & Zierer, K. (2024). To Ban or Not to Ban? A Rapid Review on the Impact of Smartphone Bans in Schools on Social Well-Being and Academic Performance. Education Sciences, 14(8), 906. https://doi.org/10.3390/educsci14080906

Zunächst fällt mir hier auf, dass diese Publikation in einem Publikationskanal publiziert wurde, der nicht gerade für seriöse Begutachtung und Qualität bekannt ist. Das Finnische Forum für die Klassifikation von Publikationskanälen (JUFO) hat entschieden, dass ab 2025 alle Journals des Verlags MDPI als “graue Literatur” (Level 0) bewertet werden. Aber das es sich hier ja um ein sog. “rapid Review” handelt, war den Autoren die schnelle Publikation hier evtl. wichtiger als die Qualität des Publikationskanals.

Beim Lesen der Publikation fällt als nächstes auf, dass sich das Review auf gerade einmal 5 Studien stützt und man somit nicht von einer breiten Evidenzbasis reden kann. Bei der Einleitung fällt zudem auf, dass hier einseitig Studien mit negativen Effekten zusammengefasst werden, aber die zahlreichen Publikationen aus der Mobile Learning Community zu positiven Effekten nicht erwähnt werden. Die Autoren erklären weiterhin, dass bei einem “Rapid Review” die klassischen Stufen einer systematischen Literaturanalyse im Zuge der Publikationsgeschwindigkeit verkürzt werden. Dabei wird auf die Cochrane-Richtlinien verwiesen. Etwas ungewöhnlich für ein Review ist aus meiner Sicht die Ableitung von Hypothesen, da ja eigentlich das Ziel eines Reviews sein müsste, keine vorgefertigte Annahme zu bestätigen, sondern ein möglichst objektives Bild der Evidenz für oder gegen in diesem Fall Smartphone-Verboten an Schulen zusammenzufassen und zu synthetisieren. Anhand der Einschlusskriterien wurden aus 324 Studien nur 5 Studien ausgewählt, die für das Review geeignet seien. Dabei wurden nur Studien ausgewählt, aus denen sich Effektstärken und Standardabweichungen ableiten ließen. Verschiedene Einschränkungen der Studien werden diskutiert. Bei der Übersicht der Effekte wird deutlich, dass sich die Berechnungen für Effekte auf Lernleistung und auch soziales Wohlbefinden jeweils auf gerade einmal drei Originalstudien stützen. Zudem fällt auf, dass die Effekte auf die Lernleistung zum einen nicht signifikant sind und zum anderen, wenn man mal Hattie als Orientierung nimmt, als Entwicklungseffekt einstufen kann, der zu vernachlässigen ist. In Bezug auf das soziale Wohlempfinden wird von einem signifikanten mittleren Effekt berichtet. Hier ist die Nutzung des Wortes “moderate” fraglich, da die Effektstärke mit d = 0.22 eher als kleiner und nicht als mittlerer Effekt zu interpretieren ist. Auch diesen Effekt würde ich mit Hattie auf jeden Fall nicht als erwünschte Effektstärke einschätzen. Bei der weiteren Analyse des Papers fällt zudem auf, dass die Aggregation von Effekten in beiden Kategorien als zumindest diskutabel einzustufen sind. In der Kategorie “soziales Wohlbefinden” sind Effekte in Bezug auf Bullying gemischt mit Effekten zu Konkurrenz und Zufriedenheit. In der Kategorie Lernleistung werden Ergebnisse eines nationalen Mathematiktests kombiniert mit einem schulischen Abschlusstest und Schulnoten.

Zusammenfassend würde ich hier sagen, dass das Rapid Review keine ausreichenden Basis für die Einführung von Smartphone-Verboten in Schulen bietet. Daher bin ich noch einmal auf die Suche gegangen, um zu schauen, ob es bessere Wissenschaft zu dem Thema gibt. Dabei bin ich auf ein Scoping Review einer australischen Gruppe von Forschenden gestoßen, welches ich im folgenden vorstellen mmöchte.

Campbell, M., Edwards, E. J., Pennell, D., Poed, S., Lister, V., Gillett-Swan, J., … & Nguyen, T. A. (2024). Evidence for and against banning mobile phones in schools: A scoping review. Journal of Psychologists and Counsellors in Schools, 34(3), 242-265. https://doi.org/10.1177/2055636524127

In diesem prä-registriertem Scoping Review einer Forschungsguppe verschiedener autralischer Universitäten wird die wissenschaftliche Evidenz zu Smartphone-Verboten in Bezug auf die Variablen Lernleistung, mentale Gesundheit und Wohlbefinden und Cyberbullying untersucht. Dabei leiten die Autor:innen das Review zunächst mit Verbreitungsdaten von Smartphones ein und diskutieren, dass Smartphone-Verbote oft als politische Reaktionen auf Sorgen in der Bevölkerung installiert werden. Als theoretische Grundlage nehmen die Autor:innen eine systemtheoretische Perspektive ein, in denen Effekte vom Kontext und Hintergrundvariablen abhängen und auch Wechselwirkungen eine Rolle spielen können. Da ich die Beschreibung so passend für den aktuellen Diskurs in Deutschland finde, zitiere ich hier direkt zum politischen Diskurs:

“Community concerns are amplified by the media, creating moral panics about issues for which little-to-no evidence exists – and to which banning then becomes a seemingly necessary and politically popular response” (Campbell et al. 2024, p. 244).

22 Studien wurden am Ende in das Review einbezogen, die in 12 verschiedenen Ländern durchgeführt wurden. In Bezug auf die methodische Qualität stellen die Autor:innen fest, dass es keine rigorosen Studien gibt wie z.B. randomisierte Kontrollstudien oder Vergleichen zwischen der Situation vor und nach der Einführung eines Smartphone-Verbots. Zudem werden Unterschiede der Samples diskutiert. Dabei haben sich einige Studien hautsächlich auf Schüler:innen mit niedrigerem sozio-öknomischen Status konzentriert, was zu einer Verzerrung der Effekte geführt haben könnte. Aus der Synthese dieser 22 Studien leiten die Autor:innen ab, dass es derzeit keine ausreichende Evidenz gibt für positive Effekte eines generellen Smartphone-Verbots auf Lernleistung, mentale Gesundheit und Wohlbefinden oder die Reduktion von Cyberbullying.

Diskussion und Fazit

Beide hier vorgestellen Publikationen sind als Open-Access-Publikationen ohne Bezahlschranken verfügbar und somit relativ leicht zu finden, wenn man sich über Effekte von Verboten von Smartphones in Schulen informieren möchte. Die erste schnelle Zusammenfassung basiert auf sehr wenigen Primärstudien und identifiziert kleine Effektstärken und nicht signifikante Effekte. Die zweite Studie der australischen Forschungsgruppe ist eine sehr gute Grundlage für die Entwicklung einer Evidenzgrundlage für die Entwicklung von Richtlinien. Ein von den Bildungsministerien vorgeschriebenes Verbot von Smartphones in Schulen ist ein tiefgreifender Eingriff in die Realität der Schulen in Deutschland und sollte nur auf Basis deutlicher positiver Effekte auf Lernergebnisse und/oder Wohlbefinden bzw. Reduktion von (Cyber-)Bullying Anwendung finden. Laut den Autor:innen der zweiten Studie gibt es für diese Effekte auf Basis der aktuellen Studienlage derzeit keine Evidenz.

Mir erscheint ein von den Bildungsministern verordnetes Smartphone-Verbot in Schulen zudem auch als ein unglücklicher Eingriff in die Autonomie von Schulen, die ja man andererseits immer weiter fördern möchte. Im Diskurs wird dabei immer wieder auf die schädliche Wirkung von einerseits übermäßiger Nutzung von Smartphones und andererseits der Nutzung von Social Media Kanälen verwiesen. Hier müsste man aus meiner Sicht eine Differenzierung vornehmen: Die Diskussion zur gesundheitsschädlichen Wirkung der übermäßigen Smartphone-Nutzung geht weit über den Schulkontext hinaus. Schulen können hierzu nur beitragen, wenn sie die Smartphone-Nutzung mit den Schüler:innen kritisch reflektieren. Auch die Beeinflussung von jungen Menschen durch Social Media Kanäle, die zum Teile fragwürdige Inhalte für Jugendliche zugänglich machen, sollte nicht im Kontext von Schulen, sondern im Kontext der Regulierung durch die EU diskutiert werden.

Zudem erscheint mir die Diskussion sehr janus-köpfig, wenn einerseits auch von politischer Seite immer wieder die Bedeutung von neuen Technologie und KI und der notwendigen Medienkompetenz betont wird, andererseits aber Objekte der Lebenswelt einfach wegreguliert werden. An einer weiteren Entfernung von Schule und Lebenswelt hat sicherlich niemand Interesse. Daher wäre meine Schlussfolgerung, dass man die Regulierung den Schulen überlassen sollte und den verantwortungsvollen Umgang mit Smartphones als übergreifende Aufgabe in den Lehrplan aufnehmen sollte mit vielen Anknüpfungspunkten zur Medienbildung und politischen Bildung.

Referenzen

Campbell, M., Edwards, E. J., Pennell, D., Poed, S., Lister, V., Gillett-Swan, J., … & Nguyen, T. A. (2024). Evidence for and against banning mobile phones in schools: A scoping review. Journal of Psychologists and Counsellors in Schools, 34(3), 242-265. https://doi.org/10.1177/20556365241270394

Böttger, T., & Zierer, K. (2024). To Ban or Not to Ban? A Rapid Review on the Impact of Smartphone Bans in Schools on Social Well-Being and Academic Performance. Education Sciences, 14(8), 906. https://doi.org/10.3390/educsci14080906

Marco Kalz
Marco Kalz
Professor of Educational Technology

My research interests is on open education, pervasive technologies and formative assessment to support (lifelong) learning and knowledge construction.