Einleitung

Feedback gehört unzweifelhaft zu einer wichtigen Dimension in allen Lern- und Lehrprozessen. Verschiedene Meta-Studien haben gezeigt, wie wichtig Feedback für den Lernerfolg sein kann (Hattie, 2009; Hattie & Clarke, 2018) und es gibt verschiedene Sichweisen auf die Rolle von Feedback in Lehr- und Lernprozessen. Lipnevich und Panadero (2021) haben in einem Beitrag kürzlich einige übergreifende Perspektiven und Modelle zum Feedback zusammengefasst und die historische Entwicklung des Fachdiskurses nachgezeichnet. Dabei weisen die Autor:innen darauf hin, dass sich das Verständnis von Feedback erst langsam von der Beurteilung hin zur Lernunterstützung gewandelt hat. In diesem Kontext wird Bloom (1971) oft als der erste Autor erwähnt, der auf Basis von Ideen zur formativen Evaluation von Scriven (1967) diesen Wechsel skizziert hat (Smith, Berg & Lipnevich, 2018; Wiliam, 2006). Bei der Diskussion um Feedbackpraktiken in der Hochschullehre ergibt sich unweigerlich eine Verbindung von Feedback und Macht bzw. Feedback und Steuerungsmöglichkeiten (im englischsprachigen Diskurs oft als Agency bezeichnet). Feedback kann generell als Übertragung von Wissen von Lehrenden auf Lernende gedacht werden oder aber als Dialog zwischen Lehrenden und Lernenden.

Im kognitivistischen Verständnis von Feedback sind somit alleine Lehrende dafür verantwortlich, dass Feedback in hoher Qualität und am besten noch individuell für jede/n einzelen Lernende/n gegeben wird. Dem gegenüber steht ein konstruktivistisches Verständnis von Feedback, welches den/die Lernende in einer aktiven Rolle im Feedbackprozess sieht. Aus diesem Verständnis ergibt sich eine geteilte Verantwortung für Feedback. Arbeiten von u.a. Winstone, Pitt und Nash (2021) zeigen, dass viele Lehrende an Hochschule noch immer aus einer kognitivistischen Perspektive und demzufolge in einem auf Wissensübertragung orientierten Modell verhaftet sind, durch welches diese eine Hauptverantwortung im Rahmen von Feedbackprozessen übernehmen und den Lernenden eine eher empfangende Rolle zukommt. In einer qualitativen Studien zu den Potenzialen von computergestützten Feedbacktechnologien haben Casanova, Alsop und Huet (2021) die Bereitschaft von Lehrenden in britischen Hochschulen untersucht, Lernenden Ver- antwortung im Feedbackprozess zu übergeben. Ein großert Teil der teilnehmenden Lehrenden haben diese Bereitschaft bestätigt, aber Bedenken hinsichtlich des erhöhten Zeitaufwandes bei der Steuerung und Unterstützung dieser Verschiebung von Verantwortung geäußert.

Ich nutze in der weiteren Diskussion nicht den in der englischsprachigen Literatur üblichen Gegensatz von kognitivistisch vs. konstruktivistisch, sondern nutze den Begriff des „dialogorientierten“ Verständnisses von Feedback, da aus meiner Sicht auch in einem kognitivistischen Paradigma ein Wissensaufbau ermöglicht werden kann, der nicht alleine auf Wissensübertragung durch Lehrende basiert. In diesem Kontext ist auch die sozio-kulturelle Perspektive auf Feedback wichtig, die auf den Arbeiten von Vygotsky und Cole (1978) aufbaut. Aus dieser Perspektive diskutieren Villamil und de Guerrero (2006) dass Lernen und Entwicklung per se in soziale Austausch- und Mediationsprozesse eingebettet sind. Während soziale Aspekte des Lernens aus einer Informationsübertragungs- und Informationsverarbeitungsperspektive nur als Mittel zur kognitiven Aktivität gesehen werden, sieht die sozio-kulturelle Perspektive soziale Prozesse als konstituierend für Kognition und bietet damit eine andere epistemische Basis für den Diskurs über Feedback. Den Autor:innen zufolge gingen Vygotsky und Cole (1978) davon aus, dass die Kognition von Erwachsenen immer Ergebnis einer Transformation von niedrigeren zu höheren Kognitionssstufen ist, die wiederum durch sozio-kulturellen Kontexte vermittelt wird. Dabei wird diese Vermittlung aus drei Dimensionen gedacht: Vermittlung durch die eigene Person, Vermittlung durch Artefakte und Vermittlung durch andere Personen. Für unsere weitere Diskussion der Rollen von Peer-Feedback ist es wichtig, dass diese anderen Personen sowohl Lehrende als auch andere Lernende sein können.

In der Fachliteratur hat sich das dialogorientierte Verständnis von Feedback als neues Paadigma bereits durchgesetzt. Boud und Molloy (2013) berichten, dass in England, Schottland und Hong-Kong der Diskurs zum Wandel von Feedback oft durch Befragungen von Studierenden und Qualitätsmaßnahmen in der Hochschullehre motiviert ist und dass dabei oft ein einseitiges Verständnis von Feedback reproduziert wurde, welches sich eher aus der Kultur der Bewertung ableitet. Die Autor:innen verwiesen aber darauf, dass es noch weitere Entwicklungsrichtungen der Diskussion zum Feedback in pädagogischen Kontexten gibt, die z.B. aus der Kybernetik und der Systemtheorie stammen. In der Entwicklung von Feedbackparadigmen unterscheiden die Autor:innen zwischen zwei verschiedenen Ansätzen:

  1. Im ingenieurwissenschaftlichen Ansatz von Feedback wurde Feedback als korrektive Information aufgefasst, die dazu verhelfen kann, zukünftiges Verhalten so zu verbessern, dass eine höhere Qualität des Produktes das Ergebnis ist. Dies entspricht dem klassischen Ansatz der Schließung des sog. Feedback-Loops. Die Autor:innen diskutieren einige praktische Implikationen dieses Verständnisses von Feedback. Aus dieser Perspektive kann die Implementation von Feedback nur gelingen, wenn es Aufgaben gibt, die mindestens zwei Versionen vorsehen und für die auch dementsprechend Zeit eingeräumt wird, um eine Überarbeitungs- oder Verbesserungsschleife einzubauen. Dieses Verständnis entspricht der Definition von Feedback von Ramaprasad (1983): „Feedback ist die Menge aus Informationen über die Diskrepanz zwischen dem aktuellen Stand und einem Referenzstand, die dazu genutzt werden, diese Diskrepanz zu verändern“ (Ramaprasad, 1983, S. 4). Sadler (1989) schließt aus diesem Ansatz drei Bedingungen: 1.) die Kommunikation der Standards, die für eine Aufgabe vorausgesetzt werden, 2.) den Vergleich zwischen den Aktivitäten und Pro- dukten der Lernenden und den gesetzten Standards und 3.) Aktivitäten von Lernenden, um die eventuell vorhandene Lücke zwischen dem Status der Lernenden und dem erwarteten Standard zu schließen. Boud und Molloy (2013) kritisieren an diesem Verständnis von Feedback, dass Lernende nur so weit eine Rolle spielen als es um das Erreichen eines Standards in einem aktuellen Aufgabenkontext geht. Die Autor:innen sprechen diesem Ansatz zudem eine sehr geringe praktische Relevanz zu, da die Menge und Frequenz von Feedback, welches durch Lehrende gegeben werden kann, beschränkt ist. Daher muss dieses aufwändige Vorgehen auf besonders kritische Momente im Lernprozess beschränkt bleiben. Die Autor:innen schlagen aber vor, dass es evtl. keine Lösung des Feedback-Problem ist, auf mehr Ressourcen zu hoffen, und daher setzen Sie eher darauf, dass vorherrschende mechanistische Feedback-Modell zu ändern.

  2. Als Gegenmodell zum obigen Ansatz schlagen die Autor:innen einen responsiven Ansatz vor, der Lernende nicht als passive Empfänger und Reagierende betrachtet, sondern als Individuen mit eigenen Intentionen und Wünschen und einer aktiven Rollen im Lernprozess, die vornamlich nicht vom Vorhandensein von Lehrenden und Institutionen abhängen. Aus dieser Perspektive ist Feedback nicht als Kontrollmechanismus zu konzipieren, sondern als ein Instrument, welches Lernende aktiv nutzen, um ihren Lernfortschritt und ihr Verständnis zu sichern. Die Autor:innen nennen drei Grundmerkmale dieses neuen Feedbackparadigmas: 1.) die Lernenden mit ihrem individuellen Hintergrund und Dispositionen, 2.) die Anforderungen, die durch das Curriculum gesetzt werden und 3.) der Lernkontext (oder Lernmilieu wie es die Autor:innen nennen) mit seinen Gegebenheiten. Selbstregulation und die Fähigkeit zur Selbsbewertung wird hier als zentrale Komponente beschrieben, die Lernende dazu befähigt, eine aktive Rolle im Feedbackprozess einzunehmen. Auf der Ebene des Curriculums betonen die Autor:innen, dass es nicht ausreichend ist, Feedback auf Ebene der Seminare oder Module zu konzipieren, sondern Feedback als Komponente zur Aktivierung von Lernenden, die sich durch das gesamte Curriculum zieht, zu integrieren. Im Bezug auf das Lernmilieu nennen die Autor:innen die tatsächlich im Lernkontext existierenden Annahmen und Praktiken sowie das allgemeine Vertrauen, welches sich Lehrende und Lernende untereinander aber auch gegenseitig erbringen. Carless (2015) führt ein lernerorientiertes Beurteilungsmodell ein, welches aus drei zentralen Dimensionen besteht: lernerorienterte Aufgaben, Entwicklung von bewertender Expertise und Umgang mit Feedback. Bei der Entwicklung von lernerorientierten Aufgaben steht im Mittelpunkt, dass Lernende sich in möglichst authentischen Kontexten mit „realen“ Problemen in der jeweiligen Wissensdomäne/im Expertisegebiet auseinandersetzen können. Bei der Entwicklung von bewertender Expertise geht es darum, dass Lernende sich mit im jeweiligen Wissensgebiet gültigen Qualitätskriterien auseinandersetzen können und ihre Kapazität zur Selbst- und Fremdbeurteilung auf Basis dieser Kriterien entwickeln können.

Schließlich steht beim Umgang mit Feedback nicht die Seite der Lehrenden im Mittelpunkt, sondern die Annahme, Verarbeitung und Operationalisierung des Feedbacks durch die Lernenden. Dabei konstatiert er, dass in den letzten 20 Jahren zwar Forschritte im Bereich des Feedbacks zu beobachten waren (wie z.B. Zunahme der Aufgabentypen und Bewertungsmodi sowie eine größere Transparenz von Kriterien), dass es aber ansonsten wenig Bewegung in den Diskurs zur Rolle von Feedback in institutionellen Lernprozessen gegeben hat. Dabei erklärt der Autor sich dies durch die Komplexität, die in der Veränderung von Feedbackpraktiken zu finden ist: Einerseits muss Feedback in kurzfristige Beurteilungsprozesse eingebunden sein, andererseits muss Feedback während Lernprozessen die langfristige Entwicklung jedes einzelnen Lernenden im Blick haben. Diese widersprüchlichen Funktionen machen es dem Auor folgend für Lehrenden so schwierig, mit Veränderungen der Feedbackpraxis zu beginnen. Um den Wandel der Feedbackkultur an Hochschulen trotzdem zu ermöglichen, unterstreicht der Autor, dass es notwendig ist, die Feedbackrichtungen zu diversifizieren: Feedback können Lernende sich selbst geben, sie können sich gegenseitig beurteilen (dieses Buch) oder ergänzend noch Feedback durch Lehrende empfangen. Schließlich haben Winstone und Carless (2019) sich in einer Buchpublikation dem Thema des Feedback im Hochschulkontext gewidmet. Auch sie beschreiben den Paradigmenwechsel vom kognitivistischen Verständnis von Feedback hin zum sozio-konstruktivistischen Verständnis von Feedback. Sie betonen die Etablie- rung einer Feedback-Kultur an Hochschulen, die die Autor:innen definieren als Repräsentation der feedbackbezogenen „Annahmen, Werte und Praktiken in einem konkreten pädagogischen Kontext“ (Winstone & Carless, 2019, p. 10).

Zudem unterscheiden die Autor:innen noch kontextuelle Unterschiede beim Diskurs über Feedback in Bildungsinstitutionen. Aus einer ökosystemischen Perspektive differenzieren die Autor:innen zwischen den folgenden Diskursebenen:

  • Dem Chronosystem als gesellschaftliche Entwicklung des Diskurses über Feedback über die Zeit
  • Dem Macrosystem als disziplinäre Zuschreibung der Bedeutung und Interpretation von Feedback
  • Dem Exosystem als institutioneller Diskurs zum Feedback
  • Dem Mesosystem als kollegiales Verständnis von Feedback
  • Dem Mikrosystem als konkrete Implementation von Feedback in eigenen Lehrkontexten

Diese verschiedenen Ebenen eignen sich gut zur Unterscheidung von Diksursen auf dem Niveau von Richtlinien und Empfehlungen (in der englischsprachigen Literatur gerne als Policykontext bezeichnet), dem Niveau der fachbezogenen Feedbackkultur, der institutionellen Feedbackkultur und dem kollegialen und individuellen Verständnis von Feedback.

Trotz der Betonung des Paradigmenwechsels in der Fachliteratur scheint es so, als sei dieser in der Feedbackpraxis in deutschen Hochschulen noch nicht angekommen zu sein. Durch die Modularisierung des Studiums während des Bologna-Prozesses sind Studiengänge eher durch die Ansammlung von vielen summativen Beurteilungsmomenten gekennzeichnet, die ein kogni- tivistisches Modell sogar noch verstärken, da dieser ja eher der Beurteilung zuzurechnen sind (Gloystein & Wachtel, 2022). Im deutschen Hochschulkontext hat der Wissenschaftsrat (2008) - vergleichbar mit anderen internationalen Diskussionen - für verschiedene Fachdisziplinen von einer hohen Unzufriedenheit der Studierenden an Universitäten und Fachhochschulen mit Feedback berichtet und schließlich hat die Hochschulrektorenkonferenz in einem Gutachten im Jahr 2014 den Perspektivenwechsel hin zum dialogischen Verständnis von Feedback gefordert (Wild & Esdar, 2014):

„Handlungsleitend sollte hier ein Verständnis der Qualität von Studium und Lehre als eine gemeinsam von Lehrenden und Lernenden zu schaffende und zu verantworten- de Leistung sein. Denn vor allem im respektvollen und sachbezogenen Austausch zwi- schen Dozenten und Studierenden kann eine produktive und wechselseitige Feedback- Kultur entstehen, die für eine kontinuierliche und flexible Anpassung des Studien- und Lehrangebots an die vermutlich immer heterogener werdenden Lebensumstände, Zielperspektiven und Lernvoraussetzungen von Studierenden unabdingbar ist“ (Wild & Esdar, 2014, p. 5).

In einer aktuellen Stellungnahme schlägt der Wissenschaftsrat (2022) vor, eine neues Lehrformat mit dem Namen „Akademisches Mentorat“ einzurichten, welches dazu genutzt werden soll, mit „Feedback und zur Reflexion von Lernfortschritt und Kompetenzerwerb [beizutragen] sowie Studierende darin [zu] unterstützen, den individuell besten Weg durch das Studium zu finden“ (Wissenschaftsrat, 2022, p. 10). Zudem fordert der Wissenschaftsrat eine Reduzierung von sum- mativen Prüfungen und einen Wandel der Prüfungskultur hin zu einer besseren Passung der Prüfung zu den formulierten Lernzielen.

Bei der Diskussion zum Wechsel des Feedbackparadigmas an Hochschulen vom summativen hin zum formativem Feedback sowie zum dialogorientierten Model mit einer geteilten Verantwortung ist das Format des Peer-Feedback bisher nur als ein Randphänomen im deutschsprachigen Diskurs diskutiert worden. Generell beschäftigen sich nur wenige Publikationen dezidiert mit dem Thema des Feedbacks in der Hochschullehre. Dainton (2018) gibt einen allgemeine Einführung zu den Grundlagen von Feedback in der Hochschullehre. Weiterhin sind einige wenige deutschsprachige Publikationen zu finden, die sich entweder mit einer allgemeinen Diskussion der Veränderung des Feedback-Paradigmas in der Hochschullehre (z.B. Sippel, 2009), punktuell mit einer Veränderung der Feedback-Praxis (z.B. Wilkens, 2020) oder aber mit Veränderungen der Feedback-Praxis durch die Nutzung von digitalen Technologien beschäftigen (z.B. Schulz, 2013; van Koll, 2015). Eine Ausnahme bildet das Buch von Rohr, Den Ouden und Rottlaender (2016), das sich explizit mit dem Thema des Peer-Learning beschäftigt. Die Autor:innen widmen sich in Ihrem Buch den Lehr- und Beratungsprozessen, die im Hochschulkontext zwischen Studierenden und Lehrenden, aber auch bei Studierenden und Lehrenden untereinander auftreten können. Dabei geht es allgemein um die didaktischen Hintergründe des Peer-Learning sowie dem Peer-Learning aus der Beratungsperspektive. Peer-Feedback wird aber nicht explizit behandelt.

Es gibt zwar zahlreiche kleinere Projekte, Handreichungen und Erfahrungsberichte auch aus Hochschulen aus dem deutschsprachigen Raum, aber es fehlt derzeit an einem Buch, welches einen Überblick gibt zur Gestaltung, Implementation und Evaluation von Peer-Feedback in der Hochschullehre. Diesen Überblick soll das vorliegende Buch schaffen. Dabei soll das Buch einerseits den aktuellen internationalen Forschungsstand zum Peer-Feedback zusammenfassen, andererseits sollen praktische Implementationshinweise aus der Forschung und Praxis abgeleitet werden. Das Buch hat als Zielgruppe alle Lehrenden an Hochschulen, die sich mit der Veränderung ihrer Lehre und einem dialogorientierten Verständnis von Feedback beschäftigen wollen.

Kapitel als PDF herunterladen (Passwortschutz)